Demokratischer Neubeginn unter Aufsicht

Im September 1945 erneuerte die US-Militärregierung unter dem Oberbefehl General Eisenhowers Bayern als eigenen Staat. Die eingesetzte Bayerische Staatsregierung stand zunächst unter amerikanischer Aufsicht und musste Gesetze und Verordnungen genehmigen lassen. Ziel bayerischer Regierung und Besatzungsmacht war die Erneuerung von Demokratie und Staatlichkeit durch eine eigene Verfassung. Nach einer landesweiten Wahl wurde am 15. Juli 1946 die Verfassunggebende Landesversammlung einberufen.
180 Mitglieder tagten als erste frei gewählte bayerische Volksvertretung seit 1933. Sie berieten über den Verfassungsentwurf, der von Ministerpräsident Wilhelm Hoegner und einem vorbereitenden Ausschuss erarbeitet worden war. In einem Volksentscheid nahm die bayerische Bevölkerung die Verfassung am 1. Dezember 1946 an. Gleichzeitig wählte sie den ersten Bayerischen Nachkriegs-Landtag.

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Das zerstörte Siegestor in München, 1944

„Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des zweiten Weltkrieges geführt hat, […] gibt sich das Bayerische Volk, eingedenk seiner mehr als tausendjährigen Geschichte, nachstehende demokratische Verfassung.“ - Präambel der Verfassung des Freistaats Bayern von 1946.

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Studentinnen beim Schutträumen in der Münchner Universität, Mai 1946

In Zeiten großer Not entstand die Bayerische Verfassung. In der Landeshauptstadt München fehlte es an Versammlungsräumen. Auch die Münchner Universität war stark zerstört. Einer ihrer wenigen intakten Räume war die Große Aula, wo die Verfassunggebende Landesversammlung tagte, während die Universität wieder in Gang kam.

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Die herabgestürzten bayerischen Löwen am Münchner Siegestor, 1945

Zum Ende des 2. Weltkrieges war Bayern von amerikanischen und französischen Truppen besetzt. Das Land hatte mit weitreichenden Zerstörungen, Mangel und der zusätzlichen Versorgung von ankommenden, zuletzt 1,9 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen zu kämpfen. Vor allem in den Städten waren Wohnungen zerstört, insgesamt in Bayern 13 Prozent des Bestandes. Schwarzmarkt und Hamsterfahrten aufs Land blühten.

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Lucius D. Clay (stehend) mit Wilhelm Hoegner (rechts von Clay), 1946

Der stellvertretende amerikanische Militärgouverneur Lucius D. Clay ermöglichte im Frühjahr 1946 die Ausarbeitung der Bayerischen Verfassung. Ziel war es, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu schaffen und baldmöglichst die hohen Kosten der Besatzung für die USA zu mindern.

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Proklamation Nr. 2 der amerikanischen Militärregierung, 1945

Der Oberkommandierende der amerikanischen Streitkräfte, General Dwight D. Eisenhower, verkündete in der Proklamation Nr. 2 vom 19. September 1945 die Errichtung von Bayern, Groß-Hessen und Württemberg-Baden als "Verwaltungsgebiete […], die von jetzt ab als Staaten bezeichnet werden".

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Verfassunggebende Landesversammlung, 1946

Die Verfassunggebende Landesversammlung wurde vom Volk gewählt. Die Abgeordneten wählten einen Ausschuss von 21 Personen, der einen Verfassungsentwurf ausarbeitete. Die Mitglieder tagten in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Militärregierung genehmigte den Entwurf am 24. Oktober 1946.

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Wilhelm Hoegner, 1946

Der zweite Ministerpräsident Bayerns nach dem Krieg, Wilhelm Hoegner (1887-1980, SPD), hatte bereits vor der Verfassunggebenden Landesversammlung von seiner Regierung ein Staatsgrundgesetz beschließen lassen und einen Verfassungsentwurf erarbeitet, der von den Einflüssen des an der LMU München lehrenden Staatsrechtsprofessors Hans Nawiasky geprägt war. Dieser Entwurf war die Grundlage für die Beratungen des Verfassungsausschusses.

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Arbeitsexemplar der Bayerischen Verfassung von Wilhelm Hoegner, 1946

Wilhelm Hoegner hatte sich während seines Schweizer Exils (1934–1945) über eine künftige Bayerische Verfassung mit dem Staatsrechtsprofessor Hans Nawiasky beraten. So konnte Hoegner bereits zur ersten Sitzung des Vorbereitenden Verfassungsausschusses einen vollständigen Vorentwurf vorlegen.

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Anton Pfeiffer, Alois Hundhammer und Josef Müller (v. l. n. r.), 1948

Die CSU verfügte über die absolute Mehrheit in der Verfassunggebenden Landesversammlung. In der Partei gab es zwei Lager: Josef Müller (1898-1979, als „Ochsensepp” bekannt) galt als Vertreter des nationalliberalen Flügels. Stärker bayerisch-konservative Ansichten vertrat Alois Hundhammer (1900-1974). Anton Pfeiffer arbeitete an den Beratungen zur Bayerischen Verfassung und später bei den Verhandlungen zum Grundgesetz mit.

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Mütter der Bayerischen Verfassung von 1946

Sechs Frauen gehörten zu den 180 Abgeordneten in der Verfassunggebenden Landesversammlung 1946: Maria Deku (CSU), Dr. Elisabeth Meyer-Spreckels (CSU), Lina Ammon (SPD), Rosa Aschenbrenner (SPD), Elisabeth Kaeser (SPD), Kunigunde Schwab (KPD) (v. o. l. n. u. r.).  Vier von ihnen arbeiteten zuvor im beratenden Landesauschuss mit.

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Zita Zehner im Landtagspräsidium, ohne Datum

Vier Frauen schafften es in den ersten Bayerischen Landtag. 1950 rückte noch Friedl Schlichtinger als einzige weibliche SPD-Abgeordnete nach. Nur Maria Deku (CSU) war bereits in der Verfassunggebenden Versammlung beteiligt gewesen. Zita Zehner (CSU) war für 24 Jahre Abgeordnete im Landtag und damit weitaus länger als ihre Kolleginnen Franziska Gröber und Dr. Maria Probst (CSU).

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Stimmzettel zum Volksentscheid, 1946

Der Volksentscheid über die Bayerische Verfassung fand am 1. Dezember 1946 zusammen mit der ersten Landtagswahl statt. SPD und CSU warben für die Verfassung. Sie wurde mit einer überwältigenden Mehrheit von 70,6 % Stimmen angenommen. Die Wahlbeteiligung lag bei 75,7 % der ca. vier Millionen Wahlberechtigten.

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Wilhelm Hoegner über die Bayerische Verfassung, 1971

Erster Ministerpräsident und „Vater der Verfassung” Wilhelm Hoegner erklärt 1971 im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk die Besonderheiten der Verfassung.

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Steckbrief des verschwundenen Originals der Verfassung, 1946

Durch die Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt trat die Verfassung am 8. Dezember 1946 in Kraft. Von ihrem Original, wenn es ein solches gab, fehlt jede Spur.